Vergangenen Mittwoch (29. Oktober 2012) habe ich mir die oberen vier Schneidezähne bei einem Fahrradunfall ausgeschlagen. In erster Konsequenz bin ich durch grandiose Ersthelfermaßnahmen stabilisiert worden und der Krankenwagen wurde gerufen. Ich blutete stark im Gesicht, rubinrote Flüssigkeit ergoss sich aus Nase und Mund, doch ich war noch kurzfristig ansprechbar; so zumindest ein Freund und Ersthelfer mit dem ich mich über blinzeln unterhalten haben soll. Dann ein Blackout, laut Harry Knurzer, der selbst dem Unfall beigewohnt hat, sei ich wohl seelig eingeschlafen und habe in altbekannter Manier geschnarcht. Dann setzten die echten Erinnerungen ein, ich werde durch Gänge geschoben und Deckenlampen huschen an meinem Gesicht vorbei. Ein grauhaariger, aber doch relativ George Clooney-hafter Arzt drapiert mich auf einem Untersuchungsstuhl und guckt mir in meinen, mehr Schlachtfeld als Mund ähnenlden Kiefer. Ich antworte ihm auf einige seiner Fragen, die ich jetzt schon wieder vergessen habe.
Zweites Erwachen im Krankenzimmer.
Ich befinde mich in einem Krankenzimmer mit noch zwei anderen Herren, die sich in den mittzwanzigern befinden, meiner erste Einschätzung nach waren diese sehr nett und lustig drauf. Beide schienen etwas an ihren Beinen bzw. Hüfte zu haben. Im Augenwinkel bekomme ich mit, wie meine Mutter per Zusatzversicherung ein Doppelzimmer für mich arrangiert. Ich werde meinen gesammten stationären Aufenthalt alleine dieses Zimmer belegen.
Ich schlafe viel; meine linke Gesichtshälfte ist komplett verschont geblieben. Ein Glück, auf der Schlafe ich am liebsten.
Es kündigt sich Besuch an und im nächsten Moment ist eine Mutter einer meiner besten Freunde bei mir. Welch glücklicher Zufall, dass diese im hiesigen Krankenhaus arbeitet. Sie versorgt mich vorzüglich mit Schmerzmitteln und leckerem Fortimel, welches, nur nebenbei bemerkt, exakt wie Schokoladen-,Vanille- und Erdbeermilch schmeckt. Ich fühle mich an die gute, alte Zeit im Kindergarten zurückversetzt. Damals, als die Welt noch in Ordnung war.
Ich mache Scherze, obwohl mir garnicht nach Scherzen zumute ist. Gute Miene zu bösem Spiel.
Wohlmöglich auch, weil mir das ganze Ausmaß der Katastrophe noch nicht bewusst ist und ich Betäubungsmittel intus habe. Kurz später am Tag trifft besagter Sohn und ebenfalls Ersthelfer hinzu, auch hier blödel ich rum, aber gut das ist Standard, altes Verhaltensmuster. Und mit ihm kann ich auch sonst ernste Themen besprechen. Wir besprechen gemeinsam den gestrigen Unfallverlauf, denn daran habe ich keine Erinnerungen. Aus diversen Erzählungen habe ich nun erfahren, dass ich wohl zunächst an einer Freundesgruppe, welche zu Fuß mit mir unterwegs war, vorbeigerollt bin. Haarscharf an einem Mädel vorbei, hier hatte ich wirklich Glück, dass ich keine dritten Verletzt habe.
Desweiteren soll ich noch knapper an parkendem Auto und einer Laterne vorbeigeschrammt sein, ich frage mich ob ich nicht lieber dagegen geprallt wäre, dann wäre nicht nicht ganz so schnell gewesen. Laut Erzählung sei ich schließlich unten um eine Kurve gefahren sein und ein Gruppenmitglied hat den Crash gehört. Parallel zu dem ganzen sind jedoch auch die Ersthelfer den Berg runtergefahren und waren sofort zur Stelle.
Aber am wichtigsten ist es, zu akzeptieren, dass – ganz egal wie einsam man sich fühlt und wie groß der Schmerz ist – die Mitmenschen einem helfen werden, auch darüber hinweg zu kommen.
Es gibt am gleichen Tag noch weiteren Besuch. Ein alter Schulkamerad aus der Oberstufe, eigentlich nicht so viel mit ihm zu tuen gehabt, aber wir haben beide eine hohe Meinung von einander. Er, sitzengeblieben. hat es auch geschafft sein Leben auf die Reihe zu bekommen und studiert letztendlich das, was er sich erwünscht hat in der schönen Stadt Münster.
Sein Besuch ist nur relativ kurz, ist auf dem Weg zu einem Poetryslam. Man da wär ich jetzt auch gerne, bin zwar kein Bühnenmensch, aber lieber würde ich jetzt vor hunderten Menschen improvisieren, als in dieser Situation zu stecken.
Wir unterhalten uns nur kurz, wie es mir geht und ähnliches, das Zeug halt wodrüber man spricht, wenn man keine besseren Themen kennt. Das Wetter oder die Gesundheit.
Es gibt nur dieses eine Thema momentan. Nicht für mich, sondern für meine Mitmenschen. Ich lege nicht so viel Wert auf körperliches Wohlergehen und Mitleid dafür. Ich weiß was mein Köprer aushalten kann und dass ich mich für gewöhnlich sehr schnell regeneriere; dies bezüglich bin ich wohl ein Steh-Auf-Männchen. Schließlich hab ich schon eine Hufeisenniere mit Operation im Kindesalter weggesteckt und seitdem, so glaube ich, hat mein Körper wenigstens gelernt sich schnell zu erholen. Wenigstens etwas was ich dafür bekommen hab, so zumindest meine Vorstellung. Nur wenige Sachen kann mein Körper nicht beweltigen: Abgeschplitterte Schneidezähne, eine fehlende Niere und grauen Star. In manchen Momenten frage ich mich warum. Warum ich? Wie wäre es, wenn ich keinen grauen Star hätte? Wie wäre es, wenn ich noch eine zweite Niere hätte?
Ich weiß es nicht. Ich kenn keine Vergleichswerte, vieleicht ist das besser so. Von Geburt an benötigte ich eine Sehhilfe und mir wurde schon früh Katarakt diagnostiziert. Ebenso mit dem Nierenleiden, ich kenn es nicht anders. Da könnte man sich fragen, ob ich nicht irgendeine Angst habe Blind zu werden? Angst? Ich spüre nicht wirklich Angst, aber ich würde hin und wieder gerne scharf sehen ohne eine Brille aufzusetzen. Die komplette Erblindung liegt wahrscheinlich noch ausserhalb meines Vorstellungsvermögens, oder wird verdrängt. Hier setzte ich Hoffnung in die Wissenschaft, dass sich da noch was cooles mit Flüssigkristall Linsen deichseln lässt und außerdem ist das ganze auch schon heutzutage gut operabel.
Ich persönlich glaube nicht an das Schicksal, sondern daran, dass wir mehr vermögen als uns klar ist und das alles was wir tun Folgen hat. Und ich glaube, dass ein ganz banales Ereignis wie das Auftauchen eines flatternden Schmetterlings alles verändern kann.
Und hier komme ich zu einem Punkt, an dem ich sicherlich 50 Beispiele geben könnte, wenn ich denn nur welche wüsste.
Ich denke das Thema Religion,Glaube,Schicksal und Vorhersehung werde ich in einem anderen Aritkel behandeln.
Nach dem Besuch ist ersteinmal schlafen angesagt, also ab an den Tropf und hinein in die heile Traumwelt…. Wenn die Patienten auf meiner Station denn aufhören würden permanent den Notfallknopf zu drücken. Ich weiß ja nicht, wieso man grade mitten in der Nacht permanent auf Klo muss, oder auch mal meint spontan aus dem Bett zu fallen, was geht denn da in deren Köpfen vor? Naja, irgendwann hat man sich an die Musikeinlage gewöhnt.
Neuer Tag, neues Glück. Der Oberarzt kommt zur täglichen Visite vorbei und will dass ich noch bis Montag auf der Station bleibe, pff. Es geht mir den Umständen entsprechend gut und ich bitte mich schon am Samstag wieder rauszulassen. Auch mein behandelnder Arzt stimmt dem zu und so soll es auch kommen.
Der Krankenhausalltag ist gelinde gesagt unfassbar langweilig, da freut man sich über jeden Besuch, ob Krankenschwester,Maler und Tapezierer oder sonstiges Kleingetier was sich in das Zimmer verirrt hat. So auch über den zweiten Besuch des Ersthelfers, nennen wir ihn der Einfachheit halber A. Wir verbringen den Vormittag zusammen damit, etwas den Krankenflügel zu erkunden, nur um festzustellen, dass sich kein Schwein in den Aufenthaltsräumen aufhält. So kapern wir kurzerhand die beiden dort verfügbaren Rollstühle und amüsieren uns etwas. Ganz schön bequem so ein Teil. A eröffnet mir, dass er auch in letzter Zeit wenig geschlafen hat und im Stress ist. Sowas hört man selten von ihm, so scheint er doch eine gewisse Organisationswut zu besitzten. Aber er liegt auch allzugern auf der faulen Haut, wenn sich die Gelegenheit bietet, wer kann ihm das verdenken? So mache ich mir ein wenig Sorgen um A, denen jedoch nicht viel Zeit gelassen wird, denn A wird von einem weiteren guten Freund kontaktiert, der es leider nicht geschafft hat mich zu besuchen, sich jedoch bei mir erkundigen will wie es mir geht.
Nachdem A mich wieder verlässt und freundlicherweise mein ramponiertes Fahrrad nach Hause bringt trifft kurz darauf auch mal weiblicher Besuch ein. Hier muss ich weniger meine Gesichte erzählen, sondern kann endlich etwas zuhören, was so bei ihnen los ist. Wer mit wem und überhaupt, das lenkt ab, das tut gut. Auch wenn eine der beiden wohl etwas mein Vertrauen Missbraucht hat, zuletzt, das ist jetzt vergessen. Die andere kennt sich selbst mit Krankenhausaufenthalten aus, so wird mir eröffnet. Was sie von sich erzählt wusste ich noch nicht, sehr interessant. Aber die ist sowieso cool drauf.
Auch der Besuch verlässt mich irgendwann und es wird wieder Nacht. Diesmal scheint sich ein Kino direkt unter meinem Fenster angesiedelt zu haben, ich höre Musik, mehr oder minder manisches Lachen und Klatschen. Aber das soll mich nicht weiter stören, denn A hat mir sein Ipad2 mit HIMYM Folgen dagelassen, ein wahrlicher segen, auch weil ich erst vor kurzen wieder angefangen habe diese zu schauen, da sieht man mal wie gut A zuhören kann!
Und so neigt sich mein Krankenhausbesuch dem Ende zu. Ohne weitere Umschweife kann ich am nächsten Tag das Maria Hilf verlassen und endlich wieder zuhause einziehen, man ist das ein Luxus. Lediglich noch zu erwähnen sind noch zwei Besucher, welche auch meine Langweile vertrieben haben.
Nur einer hat den Vogel abgeschossen und meinen ersten wachen Tag erhellt. So wollte dieser mich direkt besuchen kommen und nach der vereinbarten Zeit kam eine SMS „Wo bist du? Hier gibt es Zimmer 360 und 362 aber kein 361?“ Tja, falsches Krankenhaus. Trotzdem hat mich das ganze dermaßen erfreut, dass es seinen Nicht-Besuch lohnenswert gemacht hat.